Dietrich Zawischa | Kontakt | English version |
Calcit – Kalkspat, Calciumkarbonat, CaCO3 – ist ein häufiges Mineral. Verschiedene Farben werden durch Verunreinigungen hervorgerufen; ohne Verunreinugungen und in wohlausgebildeten Kristallen ist er glasklar und farblos. Kristalle kommen in zahlreichen verschiedenen Formen vor; das Kristallsystem ist trigonal-rhomboedrisch. Die Kristalle lassen sich leicht in drei Richtungen spalten. Spaltstücke von klarem Calcit sind unter dem Namen isländischer Doppelspat bekannt. Die Stücke, die heute auf Mineralienbörsen angeboten werden, stammen von verschiedenen Fundstellen weltweit.
Calcit ist (einachsig) doppelbrechend. Doppelbrechung ist an vielen Materialien zu beobachten, ist aber meist viel schwächer. Der Unterschied der Brechungsindizes für den ordentlichen und den außerordentlichen Strahl ist bei Calcit ungefähr 40 mal so groß wie bei Eis. Der ordentliche Strahl, dessen Polarisation (Schwingungsrichtung des elektrischen Feldes) senkrecht auf die optische Achse steht, gehorcht dem Snelliusschen Brechungsgesetz; für den außerordentlichen Strahl mit der anderen Polarisation gilt ein komplizierteres Brechungsgesetz. Dies wird in den beiden folgenden Bildern gezeigt:
Dünne RisseInfolge der vollkommenen Spaltbarkeit bilden sich leicht dünne Risse beim Zerspalten von größeren Kristallen. Diese Risse zeigen dann die als Newtonsche Ringe oder Farben von dünnen Schichten bekannten Interferenzfarben. Dieser Fall von Zweistrahlinterferenz wurde bereits behandelt und durch einige Beispiele illustriert; dies ist nicht Thema dieses Abschnittes. Im Bild links ist ein vergrößertes Detail eines Calcit-Spaltstückes zu sehen. |
Der Brechungsindex hängt von der Wellenlänge des Lichtes ab, und dies gilt auch für die beiden Brechungsindizes von doppelbrechenden Substanzen. Licht, das in den Kristall eintritt, kann diesen nach einer oder mehreren inneren Reflexionen durch eine anders geneigte Seitenfläche wieder verlassen. Dabei kann es in die Spektralfarben aufgespalten werden, genau wie bei der Brechung an einem einfachen Prisma, und die Aufeinanderfolge der Farben ist die wohlbekannte und von Newton zuerst beschriebene: Rot, Orange, Gelb, Grün, Cyan, Blau, Violett (wobei ich die Farbnamen Blau und Indigo durch die moderneren Bezeichnungen Cyan und Blau ersetzt habe).
Die Bilder unten zeigen Spektralfarben, wie sie beim Beleuchten mit einem Punktstrahler auftreten. Links ein annähernd vollständiges Spektrum und ein unvollständiges (das bei einem etwas geänderten Beobachtungswinkel auch vollständig zu sehen wäre). Dass hier mehr als ein Spektrum zu sehen ist, liegt an der Doppelbrechung: eines rührt vom ordentlichen, das andere vom außerordentlichen Strahl her. Tatsächlich ist es noch etwas komplizierter: nach einer inneren Reflexion kann jeder der beiden Strahlen wieder aufgespalten werden, in einen ordentlichen und einen außerordentlichen in Bezug auf die neue Richtung. Für einen bestimmten Strahlengang konnte ich bis zu vier getrennte Spektren sehen, wenn ich den Kristall nahe ans Auge hielt, aber ein überzeugendes entsprechendes Foto ist mir nicht gelungen.
An einem Doppelspat aus Brasilien (eine genauere Herkunft war nicht angegeben) beobachtete ich Farben, die nicht durch die beiden beschriebenen Ursachen erklärlich waren, siehe die folgenden Bilder. Wenn man den Kristall dreht, erscheint er bisweilen völlig farblos, und dann wieder bunt, wobei die die Farben, die in geometrischen Formen mit geraden Rändern auftreten, an die Farben von Seifenblasen erinnern.
Doppelbrechung allein kommt als Ursache nicht in Frage, denn andere Stücke Doppelspat zeigen keine Spur solcher Farben. Laut Wikipedia ist Zwillingsbildung bei Calcit häufig, insbesondere Translationslamellen (Gleitzwillinge), die vermutlich durch den Gebirgsdruck (Scherkräfte) erzeugt werden.
Allem Anschein nach enthalten die Kristalle, die das bunte Farbenspiel zeigen, solche Zwillingslamellen.
Die Bilder unten zeigen ein Spaltstück, das nur eine größere Zwillingslamelle aufweist. Diese ist unter den meisten Umständen selbst nahezu unsichtbar, aber bei bestimmten Beobachtungswinkeln (linkes Bild) ist sie als zartfarbige Ebene zu sehen. Sie ist hauchdünn, weniger als 10 μm (unter dem Mikroskop gemessen). Häufiger sieht man nicht die Lamelle, sondern ihr Spiegelbild an einer der Grenzflächen.
Häufig ist (wegen der Abhängigkeit der Intensitäten nach Reflexion und Brechung von der Polarisation des Lichtes) einer der beiden Strahlen (ordentlicher bzw. außerordentlicher) deutlich stärker als der andere, daher ist die Verdopplung der Bilder (wie im letzten Foto oben) gar nicht so oft zu sehen. Man sieht eher, wenn man die Lage des Kristalls verändert, wie sich das Bild fast sprunghaft ändert, wenn der eine Strahl verschwindet und der andere zum Vorschein kommt.
Dies ist auch für die Erklärung der Farberscheinungen von Bedeutung: denn immer, wenn einer der beiden Strahlen den anderen an Intensität deutlich überwiegt, hat man polarisiertes Licht, ohne dafür spezielle Filter zu benötigen.
In den Zwillingslamellen hat die optische Achse eine andere Richtung als in dem umgebenden Material. Daher wird jeder der beiden Strahlen, wenn er in die Lamelle eintritt, wieder in einen „neuen“ ordentlichen und außerordentlichen Strahl aufgespalten. Wenn, wie eben besprochen, die ein- und auslaufenden Strahlen auf ihrem Weg polarisiert werden, dann entspricht die Situation der einer doppelbrechenden Schicht zwischen Polarisationsfiltern, die in dem Abschnitt über Zweistrahlinterferenz behandelt wurde.
Wenn andrerseits der (bezogen auf die Zwillingslamelle) einfallend Strahl nicht polarisiert ist (d.h. ordentlicher und außerordentlicher Strahl sind gleich stark) oder der auslaufende auf seinem Weg durch den Kristall keine weitere Polarisation erfährt, dann werden keine Farben sichtbar.
Da das Licht an den Zwillingslamellen außerdem schwach reflektiert wird, erhöht sich die Zahl der möglichen Lichtwege, die „prismatische“ Aufspaltung in Spektralfarben zur Folge haben. So können aufgrund von Zwillingslamellen Interferenzfarben und Prismenspektren in phantastischen kaleidoskopischen Bildern auftreten.
Alle Bilder wurden ohne Polarisationsfilter aufgenommen; die gezeigten Farben sind mit freiem Auge sichtbar.
Die Verdopplung der Bilder durch den Doppelspat ist nur bei ganz geringer Entfernung des Objekts gut zu beobachten, am besten, wenn der Kristall auf dem Objekt liegt. Beim Blick durch die Spaltstücke kann man entferntere Gegenstände meist nicht mehr genau erkennen, eine Verschiebung um zwei oder drei Millimeter fällt dann nicht mehr auf. Das Bild ändert sich aber, wenn Zwillingslamellen vorhanden sind; als gut sichtbare Objekte eignen sich Lampen.
Beim doppelbrechenden Spaltstück ohne Fehlstellen verlassen der ordentliche und der außerordentliche Strahl den Kristall wieder parallel zueinander in der ursprünglichen Richtung, nachdem sie im Kristall in etwas verschiedene Richtungen gingen. Aber wenn die Strahlen im Inneren in eine Zwillingslamelle eindringen, erfolgt eine erneute Aufspaltung, und beim Austritt aus der Lamelle wird jeder dieser vier Teilstrahlen noch einmal aufgespalten. Das Ergebnis hängt von der Geometrie ab, im allgemeinen gibt es nach dem Austritt aus dem Kristall Strahlen in anderer als der ursprünglichen Richtung.
Auch Goethe geht in seiner Farbenlehre ein auf die Farben, die durch Polarisation und Doppelbrechung entstehen und die er „entoptische Farben“ nennt. Über Kalkspat schreibt er unter anderem:
„Ein besonderes Stück aber dieses Minerals besitze ich, welches ganz vorzügliche Eigenschaften hat. Legt man nämlich das Auge unmittelbar auf den Doppelspath und entfernt sich von dem Grundbilde, so treten gleich […] zwei Seitenbilder rechts und links hervor, welche, nach verschiedener Richtung des Auges und des durchsichtigen Rhomben, bald einfach […] bald doppelt […] erscheinen. […]
Daß aber diese Seitenbilder nicht aus einer abgeleiteten Spiegelung des in dem Doppelspath erscheinenden ersten Doppelbildes, sondern aus einer directen Spiegelung des Grundbildes in die (wahrscheinlich diagonalen) Lamellen des Doppelspaths entstehe, […]“
(J. W. v. Goethe, Doppelbilder des rhombischen Kalkspats (1813) [1])
Aus der weiteren Beschreibung der Beobachtungen kann man schließen, dass auch Goethe die eben behandelten Farberscheinungen schon gesehen hat.
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