Dietrich Zawischa | Kontakt | English version |
Einen Streit zwischen Goethe und Newton hat es nie gegeben (Newton ist 1727 gestorben, Goethe wurde 1749 geboren), wohl aber eine heftige Polemik Goethes gegen Newtons Schlussfolgerungen aus den Versuchen mit dem Prisma. Über Goethes Farbenlehre und die Physik zu seiner Zeit (Link) habe ich schon geschrieben; hier geht es um aktuellere Versuche, Goethes Farbenlehre zu „rehabilitieren“, was anscheinend von vielen erhofft wird.
Newton war der erste, der die Farberscheinungen, die man bei der Brechung von Licht beobachten kann, genauer untersuchte. Dabei war seine Versuchsanordnung sehr einfach. Ein kleines Loch im Fensterladen, dahinter ein Glasprisma, und an der gegenüberliegenden Wand erschien ein „Spektrum“, also eine gespenstisch seltsame Erscheinung in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes.
Das Wort „Spektrum“ hat inzwischen in der Physik eine feste Bedeutung, ähnlich auch in der Mathematik, und aus Sicht der modernen Physik (und auch der Physik zu Goethes Zeit) ist das, was Newton gesehen hat, nur eine grobe Annäherung an das Spektrum des Sonnenlichtes: die Überlagerung der je nach Brechbarkeit der Strahlen verschieden stark abgelenkten farbigen Lochkamera-Sonnenbilder an der Wand. Diesen Sachverhalt hat Newton richtig interpretiert und hat die richtigen Schlüsse daraus gezogen, die dann von Goethe vehement bekämpft wurden, weil es ihm unmöglich schien, dass das weiße Licht aus farbigen Lichtern zusammengesetzt sein sollte.
Goethe meinte, das nicht weiter erklärliche „Urphänomen“ der Farbentstehung entdeckt zu haben (siehe "Streuung") und versuchte daraus auf geheimnisvolle Weise die prismatischen Farberscheinungen abzuleiten, indem das Prisma, wenn man z.B. einen schwarzen Balken auf weißem Grund dadurch betrachtet, auf einer Seite das Helle über das Dunkle, auf der anderen Seite das Dunkle über das Helle ziehe und sich das Prisma gleichsam als trübes Medium dazwischen befinde. Darüber hinaus meinte Goethe eine durchgängige Symmetrie zwischen Weiß und Schwarz oder sogar Licht und Dunkelheit zu entdecken.
Die verschiedenen „Spektren“, die vorgeführt werden, sind aber allesamt keine Spektren im strengen Sinn; es wird immer mit einem mehr oder weniger breiten Spalt oder Steg gearbeitet. Und als Lichtquelle dient immer weißes Licht, also Sonnen-, Tages- oder auch Lampenlicht. Der Wissenschaftsphilosoph weist zwar darauf hin, dass sich alle umgedrehten Experimente mit Newtons Theorie auch interpretieren lassen, aber er beachtet nicht, dass die Entwicklung seit Newton weitergegangen ist und es Experimente mit Licht gibt, die sich nicht umstülpen lassen. Alle Experimente nämlich, in denen Spektren im strengen Sinn untersucht werden. So hat schon zu Goethes Lebzeiten Fraunhofer die dunklen Linien im Spektrum des Sonnenlichtes gesehen und vermessen. Kann man Spektroskopie betreiben, indem man statt eines schmalen Spaltes einen schmalen Steg in den zu untersuchenden, breiten Lichtstrom bringt? Also z.B. die Fraunhoferlinien als helle Streifen im Steg-Spektrum sichtbar machen? Mehr darüber.
Die Polarität ist eben doch nicht so durchgängig, wie Goethe meinte und Müller behauptet, siehe die Prismenversuche. Müller betont die Vorhersagekraft der Goetheschen Farbenlehre. Mich würde die experimentelle Bestätigung folgender Vorhersage interessieren:
(Der umgekehrte Regenbogen würde von den Reflexen des glänzenden und blendenden Scheins an den Regentropfen völlig überstrahlt und wäre bestimmt nicht zu sehen, auch in Laborexperimenten nicht.)
Die hier in den Mittelpunkt gerückte Symmetrie zwischen Schwarz und Weiß ist ja nicht der Grund, warum Physiker Goethes Farbenlehre ablehnen, sondern seine Behauptung, dass das weiße Licht nicht aufspaltbar wäre und alle Farben, insbesondere die prismatischen, durch das Zusammenspiel von Licht, Dunkelheit und Trübe entstünden. Darauf geht Müller nicht ein, sagt nur, dass er „diese Theorie“ nicht verstünde, dass keiner sie bisher richtig verstanden hätte und sie anscheinend auch nicht funktioniere [2]. Dabei drückt sich Goethe klar aus, es ist durchaus zu verstehen, was er meint.
Das sogenannte Goethe-Spektrum war übrigens Newton auch schon bekannt und wurde von ihm richtig erklärt. Die Umkehrung der Newtonschen Experimente bringt keine neuen Erkenntnisse, und aus diesem Grund interessieren sich Physiker kaum dafür. Müller behauptet, es gäbe kein Experiment, das es gestatte, zwischen der Theorie der Heterogenität des Sonnenlichtes von Newton und der entgegengesetzten Hypothese der Heterogenität der Finsternis zu unterscheiden [3].
Wie wäre es mit diesem Experiment, das Newton auch schon hätte durchführen können: statt eines kleinen Loches im Fensterladen ist jetzt ein breiterer Streifen herauszusägen, so breit, dass das Prisma genau in die Öffnung passt, also kein Schatten auf das Prisma fällt und kein Licht daran vorbei geht.
Im umgekehrten Experiment müsste man einen breiten schwarzen Streifen so vor dem Prisma anbringen, dass kein direktes Sonnenlicht auf das Prisma trifft, und den Fensterladen weit aufmachen, dass um das Prisma herum kein Schatten erzeugt wird …
Links: [1] Farbenstreit — [2] Was hätte Newton auf Goethes Experimente antworten müssen? — [3] Wenn Dichter Physiker besiegen
Zinke versucht, die zentrale Vorstellung Goethes über die Unzerteilbarkeit des weißen Lichtes und die Entstehung der prismatischen Farben zu verteidigen und Newtons Erklärung als unzutreffend darzustellen.
Er experimentiert ebenfalls mit weißem Licht. Er fasst den Begriff des Spektrums noch weiter als Müller: sehr breite „Spalte“ (weiße Streifen auf dunklem Grund), Stege und auch beliebige Figuren, durchs Prisma betrachtet, bezeichnet er als Spektren. Nachdem er solche „Spektren“ von verschiedenen Lichtquellen (Sonne, Kerze, Glühlampe, Leuchtstoffröhre, LED) betrachtet hat, kommt er zu dem Schluss (S. 23): „Bei natürlichen und künstlichen Lichtsorten entstehen gesetzmäßig dieselben Spektralfarben.“ und (private Mitteilung, 19. Mai 2019): „Hat man sich also einmal von der grundsätzlichen Gleichheit der Spektren überzeugt, so sind künstliche Lichtquellen zu Studienzwecken geeigneter.“ Und so kommt es, dass er die meisten Versuche mit Licht einer Leuchtstofflampe durchführt und der Meinung ist, die so erhaltenen Ergebnisse gälten allgemein.
„Die Spektralfarben sind klar abgegrenzt und als Flächen in Farbe und Anzahl genau bestimmbar“ (S. 35).
Allerdings widersprechen die vermeintlichen Ergebnisse nicht nur der Newtonschen, sondern auch der Goetheschen Lehre. Zinke versucht daher, zumindest mit der Bezeichnung „Nebenbild“ in der Nähe der Goetheschen Terminologie zu bleiben, wobei allerdings das Hauptbild auch wieder etwas anderes ist als bei Goethe. Goethes Erklärungsversuch der Farbentstehung wird verworfen und durch die „Entstehung“ von drei starken und drei schwachen, bereits farbigen Nebenbildern ersetzt, die irgendwie durch die Reflexionen an den Prismenflächen zustande kommen sollen. Zwar finden sich in dem Buch (S. 57) auch Spektren, die mittels Beugungsgitter erhalten wurden, aber dass Gitterspektren seiner Grundannahme der Bildentstehung widersprechen, wird ignoriert. Hauptsache, die drei starken und drei schwachen Nebenbilder der Leuchtstofflampe „entstehen“.
Zinke zitiert (S. 16) Goethes Anmerkungen zu „Fraunhofers Versuch, wo Querlinien im Spektrum erscheinen“, und bemerkt nicht, dass die Fraunhoferschen Ergebnisse Newton glänzend bestätigen, was die Zusammensetzung des Sonnenlichtes aus verschieden stark brechbaren Anteilen betrifft. Hätte nicht Fraunhofer auch schon die drei starken und drei schwachen Nebenbilder bemerken müssen, wenn es sie gäbe?
Auf S. 59 wird aus Wikipedia zitiert: „1801: Thomas Young vermutet, dass die Möglichkeit, alle Farben aus drei Primärfarben zusammenzusetzen, auf physiologischen Vorgängen in der Netzhaut beruht, und schlägt drei Rezeptortypen vor, die zu den Primärfarben passen. Dieses Modell wurde um 1850 von Hermann von Helmholtz zur Dreifarbentheorie ausgebaut.“ – aber im folgenden geht der Sachverhalt, dass die drei Primärfarben physiologisch bedingt sind, unter und wird sogar bestritten (S. 94): „Obwohl dem Sehorgan des Menschen nachweislich das von der Druckindustrie nachgeahmte RGB-System zugrunde liegt, kann die Dreigliederung des Spektralbildes nicht vom Auge herrühren. Da bisher alle Spektren kontinuierlich wahrgenommen wurden, kann das Auge für die »hier« herbeigeführte Dreigliederung des Spektralbildes nicht verantwortlich sein.“
Es wird also angenommen, dass Spektren bisher nur deshalb als kontinuierlich wahrgenommen wurden, weil es nicht gelungen sei, die „Nebenbilder“ weit genug auseinander zu ziehen.
Da schon das Wort „Spektrum“ hier eine andere Bedeutung hat als in der Physik üblich, gilt das auch für andere Begriffe, wie „Spektralfarben“ und „monochromatisch“. Das führt dann zu Aussagen wie der folgenden (S.147): „Die Magenta-Farbe ist im Steg-Spektrum eine Primärfarbe. Sie ist damit eine echte Spektralfarbe, die in ein neu zu ordnendes Schema eingeordnet werden muss. … Diese Einordnung kollidiert aber mit der Zuordnung des sogenannten »Brechungswinkels« und der daraus abgeleiteten »Wellenlänge«. Daher ist mit der Anerkennung von Magenta als echte Spektralfarbe eine Neuberechnung dieser beiden Größen nötig.“
Die Wellenlängen im sichtbaren Spektrum reichen ungefähr von 380 nm bis 720 nm. Es gibt keine einzige Wellenlänge, die dem visuellen Eindruck von Magenta entspricht. Will Zinke das ändern?
Den Rest des Buches möchte ich übergehen. Nur noch etwas aus dem allerletzten Abschnitt „Offene Fragen“ „die dem Forschergeist der jüngeren Generation übergeben werden sollen“ auf S. 523: „Wie genau entstehen die farbigen Nebenbilder im Prisma?“
Das soll reichen. Ich meine, das Buch hätte erst geschrieben werden dürfen, nachdem diese Frage geklärt wäre.